„Hi. Schön, dich zu sehen“, sagt Arne und strahlt in die Kamera. Per Video blickt er für seine Follower*innen auf seine frühere Theaterarbeit zurück. Fünf Jahre Dokumente eines gesellschaftlichen Umbruchs, fünf Jahre Aufklärung, fünf Jahre Leben an der Armutsgrenze. Er spricht über das Artensterben, den Klimawandel, Wasserknappheit, Flucht, Armut, Ungerechtigkeit, die Festung Europa, Kriege und Faschismus. Was hätte Theater anderes tun können, als die Erzählungen von der kommenden Katastrophe zu wiederholen? „Die ganze Welt ist eine Bühne“, sagt Arne. „Und ihr Kollaps ist ein Genuss.“
Schon immer als digitale Live-Perfomance angelegt, bleibt „Es ist zu spät“ über den Live-Chat mit den Zuschauenden in Kontakt.
Arne Vogelgesang studierte Regie am Max Reinhardt Seminar in Wien. Er experimentiert mit verschiedenen Zusammensetzungen von dokumentarischem Material, neuen Medien und Performance. Seine inhaltlichen Schwerpunkte sind: politische Radikalisierung, deviante Praktiken und Digitalisierung des Menschlichen.
Mehr zum Stück findet ihr hier.
Für dieses Stück geben wir euch folgende Inhaltswarnungen mit:
zur analogen Version von
ES IST ZU SPÄT
von Irina Bârcă
„Es ist überall Theater und Theater macht überall Sinn, nur nicht im Theater.“
(Es ist zu spät, internil)
Es ist 23 Uhr im Juni 2020, ich klappe meinen Laptop zu, meine Augen sind feucht. In meinem Kopf hallt ein ratterndes Da-dum Da-dum Da-dum kombiniert mit dem Song am Ende des Stückes: seufzende, fast engelhaft klingende Stimmen. Es ist Lockdown und ich habe gerade ein Stück auf Youtube von meiner Couch aus live gesehen. Arne Vogelgesang spielte darin einen ehemaligen Theatermacher, heute Youtuber, der die Klimakatastrophe in ihrer Gänze zu fassen versucht. Bei diesem Unterfangen kann er natürlich nur scheitern. Es geht ziemlich schnell ans Eingemachte: Permafrostboden und Militarisierung, Rechtsextremismus und die Ignoranz der wohlhabenden Gesellschaften, die die Katastrophe heranrollen hören – Da-dum Da-dum Da-dum – aber nicht im Stande sind, zu handeln. Das Theater wird hier einem Wirklichkeitsschock unterzogen. Kann es irgendetwas tun? „Nein“, weiß sich der Performer selbst zu beantworten. Er wirft dem Theater vor, die Katastrophe immer nur zu bestätigen, wiederholbar und konsumierbar zu machen. Dabei verstrickt er sich und das Publikum selbst ununterbrochen in unauflösbaren Widersprüchen. Denn am Ende ist auch seine Performance nicht mehr und nicht weniger als ein gutes Schauspiel. Eine Als-Ob-Situation, die bereits mehrfach aufgeführt wurde. Es ist zu spät. Wir müssten aufhören. Aber wir hören nicht auf. Wir machen weiter, müssen weitermachen – nur wie? Wie gehen wir mit der Klimakatastrophe und unserer eigenen Verstricktheit darin um? Was inszeniert das Theater, wenn die gesamte Welt bereits inszeniert scheint? Sind meine Tränen am Ende des Stückes womöglich auch nur eingeübt, fake und auf den Prüfstand zu stellen? „Es ist zu spät“ stellt mit erstickender, schonungsloser Genauigkeit und einer beunruhigenden Klarheit brennende Fragen an das Theater. Fragen, die uns generationenübergreifend verbinden. Auf der Bühne, im Zuschauerraum und darüber hinaus.
Text & Performance: Arne Vogelgesang
Außenblick & Chat: Marina Miller Dessau
Geschichte: internil
Maske: Kathrin Buhlan
Koproduktion: Theaterdiscounter im Rahmen des Monologfestivals 2019
Englische Untertitel: Anna Galt (SPRACH>SPIEL)