"Bullshit - Wir haben Hunger und wir FRESSEN"
Mit diesem Zitat der Inszenierung “Fressen” von Henrike Iglesias wenden sich die drei Schauspielerinnen in ihrer Show direkt gegen Sexismus und Rollenklischees. In dieser gesellschaftskritischen Live Performance, inklusive Einblicken hinter die Kamera und reichlich Interaktion mit den Zuschauer*innen, machen es die drei Performerinnen ganz anders, als es die Gesellschaft erwartet. Denn Männer haben schließlich ordentlichen Hunger. Und Frauen? Frauen haben keinen Hunger. Sie essen lieber etwas Kalorienarmes und sind auf Diät, machen Weight Watchers oder zählen Kalorien, um überschüssiges Fett loszuwerden, denn sie sind doch immer irgendwie zu dick. Oder?
In dieser Aufführung bekommen wir einen ganz anderen Einblick, denn hier wird wortwörtlich GEFRESSEN. Bereits zu Beginn des Stücks sehen wir zwei der drei Schauspielerinnen vor einer Mikrowelle stehen. Provokant und erwartungsvoll blicken sie in die Kamera und zeigen stolz ihr Popcorn. Auch bekommen wir intensive private und persönliche Einblicke in das Leben der Künstlerinnen, wenn diese von ihrer Vergangenheit und Gegenwart berichten und dabei direkt in die Kamera blicken, sodass sich die Zuschauer*innen angesprochen und in das Stück integriert fühlen. Sie haben die Möglichkeit bei interaktiven Spielen mitzumachen, etwa den Schauspielerinnen Fragen über deren gesellschaftliche Erfahrungen zu stellen. In fleischfarbenen Anzügen sitzen sie in rosafarbenen Kästen und beantworten Chips essend Fragen. Etwa, ob sie schon mal für ihre Körper verurteilt wurden. Die Zuschauer*innen werden aufgefordert ebenfalls FRESSEND zu antworten.
Mal wird von der Erwartung der Gesellschaft gegenüber ihren eigenen Körpern erzählt, mal geht es um Essstörungen aus den Teenagerjahren und den Erwartungen der Eltern. Und immer wird dabei GEFRESSEN. Einmal haben die Zuschauer*innen sogar die Möglichkeit in der Show selbst anzurufen oder eine SMS zu schreiben und von ihren eigenen Erlebnissen bezüglich unserer gesellschaftlichen Erwartungshaltung und Esskultur zu erzählen. Ja, dieses Stück ist wahrhaftig eine Kritik an unserer Gesellschaft, die uns gewisse Normen und Vorstellungen bezüglich unserer Körper und Essgewohnheiten bereits im Kindesalter anerzieht. Allerdings wird in der Performance auch klar – die Künstlerinnen wollen sich das nicht mehr gefallen lassen, wollen selbstbestimmt sein und sich nicht mehr von unseren gesellschaftlichen Normen beeinflussen lassen. In der letzten Szene werfen sie wütend verschiedene Lebensmittel in einen Mixer, als Zeichen sich von den stereotypischen und sexistischen Erwartungen gegenüber Frauen zu befreien, wie beispielsweise schlank sein zu müssen, oder auch davon für ihre individuellen Körper angegriffen zu werden.
Als Zuschauer*in dieser feministischen Inszenierung fragt man sich – Wie sind meine Erwartungen an mich selbst und wie nehme ich meinen Körper war? Und bin ich vielleicht auch Teil dieser gesellschaftlichen Erwartungshaltung?
Von Annika Derichs | Redaktion Hingucker*innen