(bitte in Roboterstimme lesen) Hallo, ich bin IOTA. Künstliche Intelligenz Version 0,728 Beta.
Das Licht schaltet sich an und aus. Dann wieder an, dann wieder aus. An aus. Wie eine Uhr: tick tack. Währenddessen stehen vier Schauspieler vom Boden auf und bauen das Bühnenbild - welches aus lauter Tageslichtprojektoren und Leinwänden besteht - wieder auf. Es scheint fast so, als wäre es vorher zerstört worden. Doch dazu später mehr. Irgendwann bleibt dann das Licht an. Als Erstes sehen wir keine der Figuren, sondern eine Leinwand, auf der die Figuren abgebildet sind. Eine extrem spannende Form von Bühnenbild, die ich so noch nie erlebt habe. Umso froher bin ich, es in IOTA.KI zu erleben. Ich frage mich, ob das ganze Stück nur aus Leinwandaufnahmen bestehen wird. Bis die Kamera irgendwann auf die vier Schauspieler umschwenkt, die wir in dem Stück kennenlernen. Die Schauspieler übernehmen zwei Aufgaben gleichzeitig: einerseits spielen sie ihre Rollen in Mimik und Gestik mit. Andererseits spielen sie mit den Projektionen und geben ihnen eine Stimme. IOTA selbst sieht mithilfe der Projektorbilder aus wie ein Spiegelei. Eigentlich mag ich ja Rührei mehr, aber was solls.
Die Idee, dass der Mensch etwas Besonderes ist, und die Krone der Schöpfung darstellt, wurde ja bereits des öfteren in ihren Grundfesten erschüttert.
Menschen sind doch die einzigen, und nicht zu vergessen intelligentesten, Lebewesen auf dieser Welt. Oder? Oder nicht? Einige Astronomen glauben etwas anderes. So wie die drei Astronomen Anna, Veit, und Mave. Sie sind der festen Überzeugung, dass noch andere Lebewesen in diesem Universum existieren. Es gibt ja auch nur ein Universum, oder? Oder nicht? IOTA wurde dafür entwickelt, diese anderen Lebewesen ausfindig zu machen. Was sie nicht wussten, ist, dass IOTA stattdessen etwas viel größeres entdecken wird. Etwas, dessen Ausmaß wir uns gar nicht vorstellen können. Etwas, wofür Wissenschaftler der ganzen Welt versuchen Beweise für zu finden: für die Existenz von Paralleluniversen. In einer anderen Realität könnte ich zusammen mit drei Eisbären und einer Thermoskanne in einem Iglu leben. Es könnte einen Mond aus Käse geben. Du könntest Beyonces BackgroundsängerIn sein. Wenn es diese Paralleluniversen wirklich gibt, dann gibt es unendliche Möglichkeiten wie sie aussehen könnten. Mit jeder Sekunde, jeder Entscheidung, die wir treffen, werden es mehr.
Nun, verehrtes Publikum, es wird also nicht der Geist von Menschen, sondern der von Maschinen sein, der die Welt letztendlich am vollkommensten versteht.
Wie können eine Astronomin namens Anna, ein Physiker und ein Pinguin namens Dot und Rico, und eine Forscherin namens Eleva, aufeinander treffen, wenn alle drei völlig unterschiedliche Leben führen? In Annas Welt ist es nicht möglich auf dem Mond zu leben und zu arbeiten wie Eleva es tut. Für Dot ist es das Normalste der Welt einen Pinguin und eine Künstliche Intelligenz zu besitzen - für Anna aber nicht. Die drei kennen nur eine Lösung dafür: sie kommen aus Paralleluniversen. IOTA hat die drei in einer virtuellen Realität zusammen gebracht. Gewissermaßen hat IOTA sogar Armor gespielt, denn zwischen Dot und Anna hat es gefunkt. Wie Dot selbst gesagt hat: “Sie hat keine Ahnung davon, was auf der Erde abgeht, aber irgendwie mag ich sie.” Ich wünschte, es gäbe eine größere Liebesbeziehung zwischen den beiden. Ich meine, was wäre das für eine krasse Kennenlerngeschichte zu sagen: “Wir haben uns über Universen hinweg in einer virtuellen Realität kennengelernt:”?! Meine Beziehung zu IOTA.KI würde ich mit denselben Worten beschreiben: “Ich habe keine Ahnung davon, was in IOTA.KI abgeht, aber irgendwie mag ich es.” Ich bin als Laie, der nichts von Naturwissenschaften versteht, in das Stück reingegangen, und als viel viel schlauerer Laie rausgegangen. Und dabei wurde ich noch fabelhaft unterhalten. Man könnte sagen, zwischen dem Stück und mir hat es auch gefunkt.
Es gibt keinen Sinn für unsere Existenz. Es kommt darauf an, welchen Sinn wir ihr geben.
Diese einmalige Entdeckung von Paralleluniversen muss natürlich sofort getestet werden. Anna, Eleva und Dot reisen mit IOTAs Hilfe in ein anderes Universum. Ich fühle mich, als würde ich selbst durch das Universum reisen - die Projektoren zeigen diese Reise nämlich von allen Seiten. Sterne, Planeten, und abstrakte Formen umkreisen einen. Aber es wäre ja langweilig, wenn das reibungslos abgelaufen wäre. Es treten Störungen auf - quasi technische Störungen. Die drei werden ungewollt auf einem Boot im Meer ausgespuckt. Daraufhin beichtet IOTA, dass das Universum ein Computer ist. Okay, krass. Das würde bedeuten, dass Menschen - oder sollte ich lieber sagen, die, von denen wir glauben, dass sie Menschen sind - genauso sind, wie Charaktere in einem Videospiel, oder wie unsere Avatare auf gather.town? Unsere Avatare wären also Avatare von unseren Avataren? Fest steht jedenfalls, dass diese Entdeckung festgehalten werden muss. Doch die Zeit rennt. Die drei Musketiere Anna, Dot und Eleva springen in ein schwarzes Loch. Das Licht geht aus. Die Projektoren stoppen. Unsere Protagonisten fallen hin. Dunkelheit.
Auf den nächsten Versuch.
Nikole Etschberger | Redaktion Hingucker*innen
Ich wollte gerne mal wieder einen wertvollen Austausch über Theater haben. Nicht nur mit Erwachsenen, sondern auch mit Kindern und Jugendlichen - genau dies konnte mir das Barcamp geben.
Wir trafen uns in Gather Town, doch wie so oft hat die Technik leider komplett versagt. Und wir sind auf Zoom umgestiegen. Hier ging es dann mit ca. 30 Minuten Verspätung los. Als erstes kam natürlich die klassische Vorstellungsrunde (Wer liebt sie nicht?). Danach wurden wir gleich nach unseren Interessen gefragt, die wir gerne in diesem Barcamp diskutieren wollen. Die Themen waren: Wünsche für Theater in Corona; das Augenblick Mal! als Festival für wen?; Unterschiede zwischen analogem und digitalem Theater; Uminszenierung für Online- Formate; Umgang mit Trigger-Warnungen vor und nach Vorstelllungen; Beteiligung im Kindertheater; digitale Theaterfestivals; Gather Town. Nach dem Brainstorming konnten wir uns jeweils zwei Themen aussuchen und mit anderen Menschen in Dialog kommen. Am Ende des Barcamps konnte man dann auch noch ein kleines Feedback geben.
Ich war in den Breakoutrooms "Wünsche für Theater in Corona" und "Augenblickmal als Festival für wen?" Für Theater in Corona hatten wir alle den selben Wunsch. Nämlich: Macht bitte die Theater wieder auf! Mit einem guten Hygienekonzept. Im zweiten Raum zum Thema Augenblick Mal! als Festival für wen? waren alle der Meinung, dass es zu wenig Kinder und Jugendliche auf dem Festival gegeben hat. Wir haben nach Ideen gesucht, wie man mehr Kinder und Jugendliche anziehen könnte. Wie zum Beispiel: Mehr Jugendprojekte, schulfreundlicher Vorstellungszeiten, Einbeziehen von Kindern in die Stückauswahl.
An diesem Barcamp ist mir besonders aufgefallen, dass relativ viele Kinder und Jugendliche mit dabei waren und man in einen viel intensiveren Dialog gekommen ist. Leider habe ich auf diesem Festival selbst nicht sehr viele Kinder und Jugendliche gesehen, aber das Barcamp konnte hier einen gewissen Ausgleich schaffen.
Leider war es schade, dass dieses Barcamp digital stattfinden musste und man immer wieder aus den Diskussionen rausgerissen wurde. Toll war besonders, dass man am Ende der Veranstaltung einen richtigen Spirit unter den Teilnehmenden spüren konnte. In den Dialogen hatte ich immer wieder auch ein Art Teamgefühl, obwohl wir alle nicht am gleichen Ort waren. Man war auf irgendeine Art verbunden miteinander - und genau das hat mir besonders gut gefallen.
Mariella | Redaktion Hingucker*innen
Fünf Schulstühle mitten auf einer Wiese am Main, auf der gegenüberliegenden Flussseite das Frankfurter Städelmuseum, Zurück in die Gegenwart steht auf einem Plakat am Museum. Auftritt der fünf Spielenden. Da sitzen sie mitten in Frankfurt, auf Stühlen, die in diese Szenerie so gar nicht passen, an einem Ort, der Entpannung sein soll - Sinnbild dafür was Millionen von Schüler*innen gerade erleben, ehemalige Orte der Erholung werden zu Stress. Das Kinderzimmer, oder eben der Park, werden zum Klassenraum.
Es geht es los: Schulausflug – die Expedition ist die Filmadaption des vor-pandemischen, gleichnamigen Audiowalks. Die imagery company - mit Ossian Hain, Anne Kapsner, Anne Mahlow, Arthur Romanowski und Anja Schneidereit - unternimmt eine Exkursion in die IGS Herderschule Frankfurt und das ist wirklich unterhaltsam. Denn in diesem Monster, da gibt es viel zu entdecken, da „sind sie nach Gruppen sortiert und versteckt hinter Türen - sagen große Menschen „denn ich weiß es und ihr müsst es glauben“.
Die Performance lebt von den eingesprochenen Stimmen, die - an die Sendung mit der Maus-erinnernd - erklären, was eine Schule denn so ist und was darin so vor sich geht. Weisheiten, Erfahrungsberichte und lose Gedanken begleiten den schwarz-weiß Film. Worum es darin geht? Gespenster, Theater, alte Lehrer, das Herz der Schule.
Die Inszenierung verhandelt chronologisch unser Schulsystem. Ein Thema folgt dem nächsten. Dinge werden abschließend verhandelt, das macht es sehr einfach zu folgen und ist für die Zielgruppe der 8+ jährigen auch genau richtig.
„Es geht ein Gespenst um in der Schule“: so beginnt der Moment, der das Herzstück des Schulausflugs ist. Man sieht zwei Gespenster die durch die Schule streifen „und es herrscht der große Klassenkampf. Aus Klassenkampf wird Klassenfreund“. Eine Kritik an dem dreigliedrigen Schulsystem, dass von vorneherein segregiert, das eine gerechte, chancengleiche Gesellschaft noch viel utopischer macht. Passend auch der Soundtrack aus den späten 60ern: God only knows what I would be without you.
Am Ende verlassen die fünf Abenteurer*innen die Schule wieder, wollen die Welt retten, Freunde finden, nach Nicaragua fliegen. Das Video endet mit einem Monolog der beginnt mit: "Ich will zeigen, dass ich zeigen kann, dass ich nicht wollen kann, also will ich nicht, eigentlich will ich ja schon, aber ich will nicht" und endet mit "Ich will ja eigentlich, aber ich will halt nicht. Will ich, dass ich wollen will, ich weiß nicht“.
Die Zuschauerin ist wieder zurück in ihrer eigenen Schule: zuhause, denkt an die 6. Klasse, die man zwischendurch hören konnte und hofft, dass das Homeschooling bald vorbei geht, damit Schüler*innen wieder zusammen denken können: „Ich will halt eigentlich, aber ich will halt nicht“.
Jana Oehlerking | Redaktion Hingucker*innen
Wenn “boys don’t dance” uns etwas gezeigt hat, dann das: Boys do dance! Im Gegensatz zu George Michael, der “I’m never gonna dance again” singt, tanzen drei Jungs und ein Mädchen was das Zeug hält. Als die Vorstellung beginnt, liege ich noch mit Gummibärchen im Bett. Doch das sollte sich ändern.
In ihren bunt-glänzenden und leoparden-gemusterten Kostümen stehen die Tänzer im Kontrast zur einfach gehaltenen, fast leeren Bühne. Bühnendekoration hätte die vier sowieso bloß beim Tanzen gestört. Ausgefüllt wurde der Raum trotzdem: das junge Team rund um den Choreographen Takao Baba durchbricht unsichtbare Barrieren zwischen Zeiten, Tanz- und Musikstilen. Ballett in Vintage-Klamotten zu aktueller Trend-Musik tanzen? Kein Problem. Indem sie unterschiedliche Genres kombinieren, erschaffen sie einzigartige, neue Kreationen.
Alles ist Tanz. Überall ist Tanz. Jeder kann Tanz. Auch Jungs. Im Sportunterricht laufen die Gesichter der meisten von ihnen ja rot an, wenn gesagt wird, dass sie tanzen sollen, aber den neuesten TikTok-Tanz können sie dann doch als erstes tanzen. Diese Tatsache wird in “Boys don’t dance” ausgenutzt. Zu selbst komponierter Musik tanzt das Kollektiv den "Kühlschrank", den "Toaster" oder die "Mikrowelle" und ruft auf, mitzumachen. Lange hab ich mich davor gedrückt, aufzustehen und mitzutanzen. Es wurde zum ungefähr 9. Mal gesungen “Mach das Deo drauf”, als ich doch aufgestanden bin. Ich hatte das Gefühl, dass sie bemerken würden, wenn ich liegen blieb. Wahrscheinlich wäre mir durch die ständigen Wiederholungen sonst auch zu langweilig geworden. Während ich tanze steigt aber die Spannung im Körper wie die Lava eines Vulkans immer weiter, bis zum Höhepunkt. Und plötzlich explodiert der Vulkan. Statt “Mach das Deo drauf” hieß es nun “Mach die Kamera an”. Wofür? Für ein Tanzbattle. Plötzlich war ich ein Model - weil ich in der ersten Jahreshälfte Geburtstag habe. Die Models treten gegen die Zombies an. Immer und immer schneller tanzen wir. Sogar die Dolmetscherin tanzt mit. Und so entsteht doch irgendwie ein Gemeinschaftsgefühl - sogar über Zoom.
Nicole Etschberger | Redaktion Hingucker*innen
Das mittlerweile allzu bekannte gelbe Festivalvorschaubild verschwindet und ich sehe das erste Mal auf diesem Festival ein Kamerabild, das sich bewegt. Durch eine Tür, durchs Foyer, durch noch eine Tür zur großen Bühne, durch eine Holztür diesmal in den dunklen Theaterraum. Hach, LIEBE endlich mal wieder ein Theater von innen.
Die Inszenierung Mr. Nobody von Jan Gehler am Jungen Schauspiel Düsseldorf ist ein One-Shot-Film, der die Frage nach den Auswirkungen jeder unserer Entscheidungen stellt - das berühmte: Was wäre wenn. Die Vorlage ist das Drehbuch von Jaco Van Dormael. Der Film ist 2009 erschienen. Die Bühne ist ein halbrunder Raum, eine Art Riesentafel. Die Spielenden malen sich ihr Bühnenbild permanent selbst, das ist höchstsspannend und immer wieder neue Bilder zu entdecken macht die ganze Vorstellung lang Spaß.
Nemo Nobody gespielt von Jonathan Gyles wird beim Aufwachsen begleitet, begonnen kurz vor seiner Geburt bis hin zu seinem Post-Pubertären-Selbst. Immer wieder geht die Inszenierung zurück auf Nemos Leben im Jahr 2102 in einer Klinik, wo ein Journalist und eine Psychiaterin versuchen herauszufinden, was denn nun eigentlich sein Leben war. Und so bewegt sich das Stück zwischen Nemo in fünf möglichen Vergangenheiten und in eben diesem Krankenhaus. „Vor unserer Geburt wissen wir alles“, sein Leben das sind endlose Möglichkeiten, die Nemo leider nicht ausschließen kann, da in dieser Welt jedes ungeborene Kind sein Leben in allen möglichen Versionen bereits kennt, diese Erinnerung aber vor der Geburt gelöscht werden sollten. Nur haben die Engel des Vergessens Nemo scheinbar leider vergessen.
Mit acht wird er vor die Entscheidung seines Lebens gestellt: Mit Mama weg oder bei Papa bleiben und Nemo kennt die Ausgänge aller Szenarien. Und so begleitet das Publikum Nemo durch eine jede dieser Varianten. „Nachdem ich alle Möglichkeiten gesehen haben, weiß ich noch viel weniger, welche ich will“.
Süß auch, wie Nemo, in bester Nerd-Manier, von einem Mädchen aufgefordert etwas zu sagen, einfällt: „Die Schwerkraft auf dem Mars ist nur 2 1/3-mal so hoch wie auf der Erde.“ Am Ende ist unsere Welt dann doch mehr Physik und Biochemie -Verliebtsein, als dass sie romantisch ist.
Mir ist das Herz viele Male gebrochen, allein vor dem Laptop hatte ich das Bedürfnis viele der Charaktere mindestens einmal in den Arm zu nehmen. Zwischendurch schien die Moral des Stücks zu lauten: Egal, was du tust, irgendwem wird immer verletzt, einsam sein. Das gut 1½-stündige Stück schafft es empathisch mit all seinen Figuren umzugehen, verliert zunehmend aber zwischen all den Beziehungsgeschichten die eigentliche Erzählung aus den Augen. Da wirkte das Stück mehr wie Romanze als Theater. „Denn alles hätte auch anders passieren können und dennoch hätte es die gleiche Bedeutung.
In jeder Klasse sollte an der Tafel stehen: Das Leben ist ein Spielplatz und sonst nichts“, ein Satz der gerade in Pandemiezeiten ein bisschen Hoffnung, ja beinahe Erleichterung alleine vor den Laptop bringt. Mr. Nobody - weil wir eben am Ende doch durch unsere Entscheidungen sind, wer wir sind, und zu nichts mutieren, wenn wir das Leben nur mit uns passieren lassen.
Jana Oehlerking | Redaktion Hingucker*innen
„Fennymore, Fennymore......da bist du ja endlich“ - so fängt die Inszenierung von Kirsten Reinhardt und Sebastian Mauksch an.Ich dachte mir am Anfang, soll ich etwa Fennymore sein? ... Ja, wir Zuschauer sind alle Fennymore.
Ein blaues Fahrrad hat uns in eine andere Welt gebracht, wo wir viele Menschen treffen, die sich uns vorstellen. Dabei lernen wir die verschiedenen Geschichten der Bewohner*innen von Diestadt kennen, wie die von Fennymores Lehrer oder von einer alten Klassenkameradin.
Der Bürgermeister möchte gerne sein Amt auf Lebenszeit behalten, was mache Bürger*innen gut und manche eher schlecht finden. Er versucht durch Geschenke für die Stadtbewohner*innen, Stimmen für sich zu gewinnen und die Bürger zu manipulieren. Dabei werden wir als Zuschauer*innen stark eingebunden, denn schon ab Minute EINS hat man das Gefühl, Teil der Story zu sein und als einer der Hauptcharaktere in der Geschichte mittendrin zu sein.
Fennymore wird von den Performer*innen wie eine echte Person angesprochen. Dabei werden wir sogar zu kleineren Handlungen aufgefordert und können regelmäßig Kommentare einwerfen. Zum Beispiel werden wir gefragt, wie unsere Traumschule der Zukunft aussieht. Und zum Schluss… da steht die große Bürgermeisterwahl an, wo wir den Ausgang bestimmen können. Regelmäßig gibt es TV- und Wahlwerbesendungen von Bürgermeister Doktor Uhrengut. Und nachdem wir die vielen Wahlversprechen bekommen haben, dürfen wir entscheiden, ob er auf Lebenszeit sein Amt behalten soll. Das Ergebnis ist aber bei jeder Vorstellung anders und wird durch die Zuschauenden beeinflusst.
Was fraglich ist, ist ob man erwachsende Personen zeigen muss, die rauchen und betrunken sind, und das dabei das als „cool“ darzustellen, bei einem Stück für ein Publikum ab 9 Jahren. Obwohl der "Bösewicht" wohl der freundlichste Bösewicht ist, den ich kenne, gibt es viele fragwürdige oder seltsame Szenen. Zum Beispiel wird gesagt, dass die Freundin von Fennymore Papierhüte falten musste, was wohl ein Hinweis darauf ist, dass sie im Arbeitslager war.
Außerdem fehlt der Aufführung sehr deutlich, dass sie nicht vor Publikum aufgeführt werden kann, sondern online. Die Atmosphäre kommt so nicht genügend rüber.
Es ist gut, dass dieses Stück den Zuschauer*innen Demokratie näher bringen möchte, und dass jede*r, egal welchen Alters, eine Gesellschaft mitgestalten kann. In Zeiten von Debatten, ob das Wahlalter auf 16 Jahre gesenkt werden soll, ist dieses Thema sehr aktuell.
Trotzdem würde ich das Stück nicht ab 9 Jahren empfehlen.
Florian | Redaktion Hingucker*innen
Unterscheidet Euch! - Ein Gesellschaftsspiel von Turbo Pascal und des Theaters an der Parkaue.
Bevor das kulturelle Leben eingeschränkt und es ruhig wurde in den Kulturhäusern der Welt, wurde im Theater an der Parkaue diese Inszenierung aufgeführt.
Diese Produktion handelt von UNS, genau, von mir, von Dir, von UNS, von ALLEN. Genauer gesagt; von unseren gesellschaftlichen Unterscheidungen.
Die Aufführung ist auf Partizipation ausgelegt. Ohne uns als Zuschauer*innen würde sie nicht funktionieren.
Im Bühnenbild gibt es unterschiedliche Höhen, Ebenen und Tribünen. Alles ist so konzipiert, dass wir uns als Zuschauer*innen bereits schon am Anfang unbewusst in verschiedenen Gruppen aufgeteilen und im Gesellschaftsspiel unterschiedliche Start-Voraussetzungen haben. Zum Beispiel werden wir am Anfang des Stückes durch das zufällige Ziehen von Losen in verschiedene gesellschaftliche Kategorien aufgeteilt. Wer lebt im Penthouse? Wer hat viel Geld? Wer lebt in einer Wohnung? Wer geht auf das Gymnasium?Diese Unterschiede werden beispielhaft durch das aktive Einbinden des Publikums durchgespielt.
Im Rahmen des Spiels werden die Zuschauenden ständig neu gemischt und in immer neue Situationen geworfen. Viele Fragen gilt es zu beantworten und es gibt viele Entscheidungsmöglichkeiten und Spielrunden, um die Zuschauenden immer weiter in unterschiedliche Gruppen aufzuspalten.
Durch die biografischen Erzählungen der Schauspieler*innen werden Privilegien und Selbstverständlichkeiten erzählt und verdeutlicht. Die eine lebte zufrieden und hatte eine glückliche Familie, der andere hatte es nicht so leicht im Leben.
Die Botschaft hinter dem Stück ist sehr offensichtlich und steht bereits im Namen der Produktion "Unterscheidet Euch - ein Gesellschaftsspiel".
Auf spielerische Weise werden gesellschaftliche Probleme mit der Klassenzugehörigkeit thematisiert.
Dieses Stück möchte darauf aufmerksam machen und uns zeigen, dass wir ständig eingeteilt werden, ob durch das Schulsystem, gesellschaftliche Teilhabe oder Ausschluss.
Das Stück hinterfragt unsere gesellschaftliche Ordnung und das, was für selbstverständlich halten; wie wir es annehmen, tagtäglich erleben und fortführen. Dadurch werden bereits Kinder spielerisch an das Thema herangeführt.
Anschauen und MITMACHEN lohnt sich!
Florian | Redaktion Hingucker*innen
Mit diesem Zitat der Inszenierung “Fressen” von Henrike Iglesias wenden sich die drei Schauspielerinnen in ihrer Show direkt gegen Sexismus und Rollenklischees. In dieser gesellschaftskritischen Live Performance, inklusive Einblicken hinter die Kamera und reichlich Interaktion mit den Zuschauer*innen, machen es die drei Performerinnen ganz anders, als es die Gesellschaft erwartet. Denn Männer haben schließlich ordentlichen Hunger. Und Frauen? Frauen haben keinen Hunger. Sie essen lieber etwas Kalorienarmes und sind auf Diät, machen Weight Watchers oder zählen Kalorien, um überschüssiges Fett loszuwerden, denn sie sind doch immer irgendwie zu dick. Oder?
In dieser Aufführung bekommen wir einen ganz anderen Einblick, denn hier wird wortwörtlich GEFRESSEN. Bereits zu Beginn des Stücks sehen wir zwei der drei Schauspielerinnen vor einer Mikrowelle stehen. Provokant und erwartungsvoll blicken sie in die Kamera und zeigen stolz ihr Popcorn. Auch bekommen wir intensive private und persönliche Einblicke in das Leben der Künstlerinnen, wenn diese von ihrer Vergangenheit und Gegenwart berichten und dabei direkt in die Kamera blicken, sodass sich die Zuschauer*innen angesprochen und in das Stück integriert fühlen. Sie haben die Möglichkeit bei interaktiven Spielen mitzumachen, etwa den Schauspielerinnen Fragen über deren gesellschaftliche Erfahrungen zu stellen. In fleischfarbenen Anzügen sitzen sie in rosafarbenen Kästen und beantworten Chips essend Fragen. Etwa, ob sie schon mal für ihre Körper verurteilt wurden. Die Zuschauer*innen werden aufgefordert ebenfalls FRESSEND zu antworten.
Mal wird von der Erwartung der Gesellschaft gegenüber ihren eigenen Körpern erzählt, mal geht es um Essstörungen aus den Teenagerjahren und den Erwartungen der Eltern. Und immer wird dabei GEFRESSEN. Einmal haben die Zuschauer*innen sogar die Möglichkeit in der Show selbst anzurufen oder eine SMS zu schreiben und von ihren eigenen Erlebnissen bezüglich unserer gesellschaftlichen Erwartungshaltung und Esskultur zu erzählen. Ja, dieses Stück ist wahrhaftig eine Kritik an unserer Gesellschaft, die uns gewisse Normen und Vorstellungen bezüglich unserer Körper und Essgewohnheiten bereits im Kindesalter anerzieht. Allerdings wird in der Performance auch klar – die Künstlerinnen wollen sich das nicht mehr gefallen lassen, wollen selbstbestimmt sein und sich nicht mehr von unseren gesellschaftlichen Normen beeinflussen lassen. In der letzten Szene werfen sie wütend verschiedene Lebensmittel in einen Mixer, als Zeichen sich von den stereotypischen und sexistischen Erwartungen gegenüber Frauen zu befreien, wie beispielsweise schlank sein zu müssen, oder auch davon für ihre individuellen Körper angegriffen zu werden.
Als Zuschauer*in dieser feministischen Inszenierung fragt man sich – Wie sind meine Erwartungen an mich selbst und wie nehme ich meinen Körper war? Und bin ich vielleicht auch Teil dieser gesellschaftlichen Erwartungshaltung?
Von Annika Derichs | Redaktion Hingucker*innen
Ein Monolog über die Welt, das Theater und unsere Machtlosigkeit
Ein schwarzer Kasten, ein Mikrofon im Zentrum des Bildes. Im Chat teilen ZuschauerInnen noch fröhlich das Wetter in den Heimatorten, als ein junger Mann vor die Kamera tritt. Arne Vogelgesang – Regisseur, Schauspieler und Monologist für die nächsten 60 Minuten – erklärt das Prinzip seiner Inszenierung: Er stellt ein Video nach, das er 2019 für seine UnterstützerInnen aufnahm, parallel wird besagtes Video abgespielt. Über den Chat kann das Publikum entscheiden, welche Version es gerade sehen möchte. So weit, so gut… oder doch nicht? Denn der lächelnde Kerl mit den zerzausten Haaren beginnt zwar mit der Schilderung seiner Zeit in einer Künstlerresidenz, mit der Entscheidung, sich einen üppigen Rauschebart wachsen zu lassen und wie dieser in jedes seiner künstlerischen Projekte über politische Konflikte gut reingepasst hat, doch auch wie jeder politische Konflikt gut in den Bart passte. Eine Metapher, die in der Inszenierung einen zentralen Platz einnimmt und schnell zeigt sich: Das hier ist mehr als ein Millenial, der über den Sinn seines Lebens und den Beton auf seinen Schultern redet. Es geht um den Kern des Betons, um seinen Ursprung, um den Sand, der in anderen Teilen der Welt gestohlen wird und der das wahre Thema offenbart: Die Klimakrise und ihre Auswirkungen. Es folgt eine halbe Stunde, die - angereichert mit Schaubildern und Statistiken – zwar einen Einblick in sämtliche Probleme des Planeten bietet, aber mich als Zuschauerin einfach nicht mitreißen kann. Ich habe kaum Zeit, über die Bedeutung der genannten Zahlen nachzudenken und als Teil der „Fridays-for-Future“-Generation habe ich Sätze wie „Was soll ich meinen Kindern für eine Welt zeigen?“ schon etliche Male gehört. Ich frage mich, wann und ob die Reproduktionsphase enden soll. Doch schließlich kommt unser Monologist zu einer entscheidenden Frage: „Was kann Theater tun?“ Die Antwort: „Nichts“. Vogelgesang lässt sein Publikum in ein beeindruckendes Loch fallen. „Theater kann das Dargestelltsein der ganzen Welt nicht darstellen.“ Es wird mit einem Medium abgerechnet, das nur noch von sich selbst konsumiert wird, dessen Einfluss nicht über den höflichen Schlussapplaus hinaus geht. Mit dem Entschluss: „wir müssen aufhören, bevor es zu spät ist“. Arne Vogelgesang rasiert sich den Bart ab, in dem kein Platz mehr für Probleme ist und erschafft durch diese eigentlich oft gesehene Darstellung einen schockierend niederschmetternden Moment. Zum ersten Mal ist Zeit, sich zu fragen: „Stimmt das? Ist die Katastrophe wirklich das Ziel?“
„Es ist zu spät“ kommt über einen langen Umweg der Reproduktion zu einem beeindruckenden Abschluss. Insbesondere als wortgewaltige Konstruktion werde ich es in Erinnerung behalten, denn Sätze wie „die ganze Welt ist unsere Bühne und ihr Kollaps ein Genuss“ lassen sich nicht mehr so schnell vergessen.
Text von Lena Riemer | Redaktion Hingucker*innen
Am Anfang beginnt alles sehr niedlich und harmlos, man begegnet drei schlafenden Hamstern, die mit dem Mikrofon aufgeweckt werden können. Aber zunehmend wird man unaufdringlich an ethische Fragen in Bezug auf Haustierhaltung, Tierversuche, Freiheit und Unterdrückung herangeführt. Hält der Pfleger Charley seine Tiere richtig? Darf Frau Doktor Herzfeld die Hamster zum Wohle der Forschung töten? Und wieso dürfen eigentlich die Hamster nichts mitentscheiden? Könnten sie nicht auch frei leben?
All diese Themen vermag der Theaternachmittag immer wieder so einfach und spielerisch aufzuwerfen. Und diese Fragen sind bei Weitem nicht nur für das junge Publikum.
Die Burg der Schauburg in München füllt ein Hamsterkäfig. Die Aufführung bedient sich primär des Livestreams. Dabei wird immer wieder zwischen drei Kameraperspektiven gewechselt. Die Zuschauer*innen werden direkt angesprochen.
Ich bin in dieses Stück mit wenig Erwartung gegangen, aber es hat mich vollkommen überzeugt. In der Inszenierung geht es um Hamster und um Tierversuche. Des Weiteren geht es um Machtmissbrauch. Das alles kann die Ensemble Produktion, so spielerisch und leichtverständlich darstellen. Auch ist Alarm im Streichelzoo(m) keine Produktion um still sitzen zu bleiben. Es wird besonders viel Wert auf Mitmachen gelegt. So können die Zuschauer*innen helfen, die Hamster aus dem Käfig der bösen Ärztin zu befreien. Zum Beispiel indem sie immer wieder in den Livestream eingeblendet werden und mit den Protagonist*innen sprechen. Oder auch indem sie in den Chat schreiben, wer jetzt eigentlich der Gute und wer der Böse ist. So kursierten in der Vorstellung die Hashtages: #freilasseen #charlydermörder. Manche*r hat sich sogar so involviert gefühlt, dass einige Zuschauer*innen mit einer Demonstration für die Freilassung der Hamster gedroht haben.
Eine besondere Erwähnung verdienen die Hamster-Kostüme. Sie sahen so knuffig aus und man wollte sie direkt in den Arm nehmen. Und die Schauspieler*innen unter diesen riesigen Hamsterkostümen haben es geschafft ihre Rolle so authentisch darstellen.
Mariella | Redaktion Hingucker*innen