„Die Flamme der Panik wird erstickt durch die Schwerkraft der Verhältnisse“

17. April 2021
© Loris Rizzo

Ein Monolog über die Welt, das Theater und unsere Machtlosigkeit

Ein schwarzer Kasten, ein Mikrofon im Zentrum des Bildes. Im Chat teilen ZuschauerInnen noch fröhlich das Wetter in den Heimatorten, als ein junger Mann vor die Kamera tritt. Arne Vogelgesang – Regisseur, Schauspieler und Monologist für die nächsten 60 Minuten – erklärt das Prinzip seiner Inszenierung: Er stellt ein Video nach, das er 2019 für seine UnterstützerInnen aufnahm, parallel wird besagtes Video abgespielt. Über den Chat kann das Publikum entscheiden, welche Version es gerade sehen möchte. So weit, so gut… oder doch nicht? Denn der lächelnde Kerl mit den zerzausten Haaren beginnt zwar mit der Schilderung seiner Zeit in einer Künstlerresidenz, mit der Entscheidung, sich einen üppigen Rauschebart wachsen zu lassen und wie dieser in jedes seiner künstlerischen Projekte über politische Konflikte gut reingepasst hat, doch auch wie jeder politische Konflikt gut in den Bart passte. Eine Metapher, die in der Inszenierung einen zentralen Platz einnimmt und schnell zeigt sich: Das hier ist mehr als ein Millenial, der über den Sinn seines Lebens und den Beton auf seinen Schultern redet. Es geht um den Kern des Betons, um seinen Ursprung, um den Sand, der in anderen Teilen der Welt gestohlen wird und der das wahre Thema offenbart: Die Klimakrise und ihre Auswirkungen. Es folgt eine halbe Stunde, die - angereichert mit Schaubildern und Statistiken – zwar einen Einblick in sämtliche Probleme des Planeten bietet, aber mich als Zuschauerin einfach nicht mitreißen kann. Ich habe kaum Zeit, über die Bedeutung der genannten Zahlen nachzudenken und als Teil der „Fridays-for-Future“-Generation habe ich Sätze wie „Was soll ich meinen Kindern für eine Welt zeigen?“ schon etliche Male gehört. Ich frage mich, wann und ob die Reproduktionsphase enden soll. Doch schließlich kommt unser Monologist zu einer entscheidenden Frage: „Was kann Theater tun?“ Die Antwort: „Nichts“. Vogelgesang lässt sein Publikum in ein beeindruckendes Loch fallen. „Theater kann das Dargestelltsein der ganzen Welt nicht darstellen.“ Es wird mit einem Medium abgerechnet, das nur noch von sich selbst konsumiert wird, dessen Einfluss nicht über den höflichen Schlussapplaus hinaus geht. Mit dem Entschluss: „wir müssen aufhören, bevor es zu spät ist“. Arne Vogelgesang rasiert sich den Bart ab, in dem kein Platz mehr für Probleme ist und erschafft durch diese eigentlich oft gesehene Darstellung einen schockierend niederschmetternden Moment. Zum ersten Mal ist Zeit, sich zu fragen: „Stimmt das? Ist die Katastrophe wirklich das Ziel?“ 

„Es ist zu spät“ kommt über einen langen Umweg der Reproduktion zu einem beeindruckenden Abschluss. Insbesondere als wortgewaltige Konstruktion werde ich es in Erinnerung behalten, denn Sätze wie „die ganze Welt ist unsere Bühne und ihr Kollaps ein Genuss“ lassen sich nicht mehr so schnell vergessen.

Text von Lena Riemer | Redaktion Hingucker*innen

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