30 Jahre Kindertheaterfestival für Erwachsene
Von Thalia Schoeller
Nachdem Arne Vogelgesang auf der Bühne gesagt hat, dass Theater nichts tun kann, wurde sich im Chat unter den Zuschauenden ganz fleißig gefragt, was Theater denn tun kann. Und wieder mal wurde deutlich: auf diesem Festival ist mehr Fachpublikum als junges Publikum. Ich habe mich nach dem Stück erschlagen gefühlt. Ich glaube jedem, dem diese Flut von Informationen in der Form nicht neu ist, fühlt sich danach erschlagen. Man ist im bum-Teil des babum babum babum. Man macht dann schon irgendwann irgendwie wieder weiter, aber nicht hoffnungsvoll. Euer Weitermachen sieht anders aus als unseres. Ihr habt Berufe, Berufungen, Kinder. Wir entscheiden uns jetzt für eine Kariere an deren Höhepunkt wir nicht mehr kommen können und gegen Kinder. Mit dieser unterdrückten aber fundamentalen Hoffnungslosigkeit wächst eine Generation heran, die ihre depressiven Episoden faktisch unterfüttern kann. Ich weiß, dass ich wahrscheinlich Krieg erleben werde. Ich weiß, dass ich den Zusammenbruch von Systemen erleben werde. Ich weiß, dass ich klimatische, gesellschaftliche und körperliche Extremzustände erleben werde. Und obwohl ein Kinderwunsch das stärkste und konsistenteste Gefühl ist, das ich kenne, weiß ich, dass ich keinem Kind die Lebensumstände antun möchte, in die die Kinder unserer Generation geboren werden würden. So denke ich über Kinder nach. Wenn ihr über Kinder nachdenkt macht ihr Fennymore. Es wird Zeit für euch erwachsen zu werden und Verantwortung zu übernehmen - zumindest gedanklich - und sich nicht ständig von dem Wissen um die Welt abzulenken. Macht es wie eure Kinder. Dann können wir wieder reden.
Ich rede nicht mehr mit Menschen, die sagen, dass ich noch Zeit habe. Ich rede nicht mehr mit Menschen, die sagen, dass unsere Generation die Welt retten wird. Ich rede nicht mehr mit Menschen, die sagen, dass ich einen Schulabschluss, ein Studium, dann 3 Jahre Berufserfahrung brauche um gesellschaftlich relevant zu sein. Und ja, ich will immer noch ins Theater. Und dort gesellschaftlich relevant sein. Und ich hab meine 3 Jahre Berufserfahrung neben der Schule gemacht, weil ich eben keine Zeit mehr habe. Und es ist schwer ins Theater zu kommen, wenn man nicht mehr mit ignoranten Menschen sprechen will, also mache ich es eben doch und bedanke mich tausendmal für jede Möglichkeit zu sprechen und weine zuhause, alleine, ganz bitterlich, weil ich von der Elterngeneration allein gelassen werde. Denn auch meine Eltern sagen mir, dass ich noch Zeit habe. Privilegien erzeugen blinde Flecken und Menschen mit so vielen blinden Flecken haben nichts in den Führungspositionen von Theatern zu suchen. Wenn du mir die Welt erzählen willst, dann fang bitte auch mal außerhalb von Europa an. Wenn du alt bist, weiß bist, Cis bist, reich bist, able-bodied bist, männlich bist und kein Trauma hast, dann hast du blinde Flecken in allen aktuell wichtigen Diskursen. Wie soll Theater aktuell wichtig sein, wenn diese Leute weiterhin Theater machen? Und es ist nicht so als könnte man das nicht ändern. Es ist nicht so als wäre Theater inhärent nischig. All das, wovon ihr schwärmt, wenn ihr darüber sprecht was Theater alles kann, kann es wirklich. Nicht mit euch an der Spitze natürlich, aber das ginge. Wenn ihr es an Leute übergebt, die mehr über die Welt wissen als ihr, ginge das. Das was ihr wisst, habe ich in der Schule gelernt. Das bringt ihr uns bei, weil ihr denkt es sei noch relevant. Und jetzt bin ich fertig mit der Schule und fertig mit euch. Und wenn sich die Welt nicht ändert, solang die Extremzustände noch nicht eingetroffen sind, wenn ich die Welt nicht ändern darf, solang die Extremzustände noch nicht eingetroffen sind, habt ihr mir nicht nur meine Zukunft, sondern auch meine Gegenwart ruiniert. Damit habt ihr als Eltern versagt. Damit habt ihr als Kindertheatermacher*innen versagt.
Akzeptiert, dass Theater nichts tun kann. Tretet ab. Gebt uns diesen Spielplatz. Wir verdienen ihn auch. Gebt uns noch 20 schöne Jahre Leben bitte. Jetzt bitte ich euch. Jetzt bin ich wieder freundlich. I’ll strip for you if you want to. Sagt mir mit wem ich schlafen muss um inszenieren zu dürfen und ich mache es. Ich brauche unkonventionelle Lösungen, weil ich keine Zeit für den klassischen Weg habe. Bitte, bitte, bitte, liebe Theatermachende, die das lesen, lasst mich Theater machen. Präapokalyptisches Theater. Ich meine das zu 100% ernst. Bitte kontaktiert mich über thalia.schoeller@web.de. Ich werde nicht den gleichen Weg gehen können, wie ihr, weil ich nicht die gleichen zeitlichen Perspektiven habe, die ihr als Jugendliche hattet. Die Reifeprüfungen im Theater sind hart und langwierig. Deswegen ist die junge Generation von Theatermacher*innen Mitte 30. In 20 Jahren, wenn ich Mitte 30 bin, wird es Theater in der Form, die es aktuell hat, nicht mehr geben. Ich liebe Theater immer noch. So herzzerreißend stark. Bitte bitte bitte, liebe Elterngeneration in Entscheidungspositionen, ändert für uns die Spielregeln. Lasst uns mitspielen. Das ist das was ihr noch tun könnt.